Last Train Home.

Nachts ist der Hamburger Hauptbahnhof ein Erlebnis für sich. Wenn der Feierabendverkehr durch ist, und die Reisenden für sich stehen im Neonlicht des Bahnsteigs. Wo willst Du hin? blicken wir einander an.
Freiheit! daran denken wir dabei zuletzt. Hier kreuzen sich die zu lang gelebten Träume. Der Glaube, wir wären noch jung genug, hier wartet er auf seinen Anschluss. Welcher Zug auch abfährt, es wird der letzte sein.
Eine in ihre "besten Jahre" gekommene Frau fährt mit mir im Abteil. Begleitet wird sie von ihrem Rucksack und jenen kleinen Habseligkeiten, wie man sie bei "Aktenzeichen xy ungelöst" häufig im Besitz eines Opfers findet.
Draußen alles dunkel. Aber schlafen kann die Frau nicht. Stattdessen blättert sie in einem Buch über Marlon Brando, als wenn das jetzt noch wichtig wäre.
Tatsächlich fährt die Frau mit mir durch bis ans Meer. Viele Geschichten enden am Meer. Wo wir einst zu hoffen begannen, sterben wir auch.
Endstation. Die Frau schultert ihren Rucksack. Ein langer, leerer Bahnsteig vor uns. Wehe dem, der jetzt keine Heimat hat. Doch schon schälen sich zwei wackre Gestalten aus der Nacht. Mama breitet ihre Arme aus: "Huhu." Papa folgt mit angemessenem Lächeln.
Grau die beiden, klein. Nicht mehr oft wird die Nacht sie freigeben. Ihre Tochter wirkt denn auch wie entkernt und mit heißer Luft gefüllt. Freudig empfängt sie den Tisch, den das Schicksal noch einmal gedeckt hat für sie.
Zurück bleibt der Bahnsteig und die Nacht, die geduldige Nacht.
chSchlesinger - 29. November, 16:00